Immer mehr Ärzte gehen in Rente – Deutschland sucht Nachwuchsmediziner

AUS: MEDIZIN-LEXIKON.DE

Fehlende Spezialisten, immer weniger Hausärzte, Praxisschließungen – der Ärztemangel ist derzeit ein viel diskutiertes Thema in der ganzen Bundesrepublik. In den kommenden Jahren droht in Deutschland nicht nur ein Mangel an Hausärzten. Laut einer Umfrage wird in den nächsten Jahren beinahe jeder vierte Hausarzt aufhören, viele suchen noch (erfolglos) nach einem Nachfolger. Zwar gibt es rein statistisch mehr Mediziner denn je in Deutschland, schon jetzt macht sich jedoch ein ernsthafter Fachkräftemangel bemerkbar. Die Problemlage ist durchaus widersprüchlich.

Versorgungsknappheit insbesondere im ländlichen Raum

Einerseits wird die Gesellschaft immer älter, auf der anderen Seite wird es aber auch immer schwerer für junge Menschen einen Medizin-Studienplatz zu erhalten. Bis zum Jahr 2020 drohen tausende Hausarztpraxen zu verschwinden. Zahlreiche Mediziner, die in den wohlverdienten Ruhestand gehen, finden keine Nachfolger. Insbesondere im ländlichen Raum droht eine ernste Versorgungsknappheit, geschätzt 2.600 Hausarztpraxen fehlen für die Grundversorgung auf dem Land. Zudem fehlen Facharztpraxen, beispielsweise allein ca. 1.250 Praxen für Psychotherapeuten. Auch sind zahlreiche Änderungen im Gesundheitssystem vonnöten, deren bislang fehlende Umsetzung die Problemlage noch begünstigt.

Angebot und Nachfrage im Widerspruch

Die Attraktivität des Arztberufs ist hingegen ungebrochen. Nach wie vor sind viele Abiturienten gewillt eine medizinische Laufbahn einzuschlagen. Die Studienplätze jedoch sind rar und ein Notendurchschnitt von 1,x allein reicht in vielen Fällen nicht aus, um einen der begehrten Plätze zu bekommen. Angebot und Nachfrage stehen also in einer deutlichen Diskrepanz zueinander. Schon jetzt fordern viele Mediziner die Zulassungskriterien für Ärzte nicht nur über den NC zu steuern, die Universitäten kommen diesen Forderungen jedoch nur unzureichend nach. Wer das Studium erfolgreich absolviert hat, braucht sich relativ wenig Sorgen um eine Anstellung zu machen. Die Karrierechancen für junge Ärzte sind in Deutschland sehr gut, ihnen stehen jederzeit zahlreiche Stellenangebote für Assistenzärzte zur Auswahl. Assistenzarztstellen sind in der Regel der übliche Einstieg in die medizinische Karriere.

Von den Nachwuchsmedizinern entscheiden sich immer mehr für eine Spezialisierung, immer weniger hingegen begeben sich in die Allgemeinmedizin. Dies hat mitunter auch mit den hohen Verdienstmöglichkeiten in bestimmten Spezialisierungsbereichen zu tun.

Veränderungen im Berufsverständnis

Noch vor einiger Zeit war die Ärzteschaft in Deutschland maßgeblich von Männern dominiert. Die meisten von ihnen übten ihren Beruf in Vollzeit aus und arbeiteten nicht selten 60 Stunden und mehr in der Woche. Heute sind junge Ärzte nicht mehr gewillt, diese immensen Wochenarbeitszeiten abzuleisten. Viele Kliniken und auch private Träger bieten heute Tarifverträge mit einer festgeschriebenen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden an. Auch arbeiten mehr und mehr Ärzte in Teilzeit.

Junge Mediziner scheuen zudem die Eröffnung einer eigenen Praxis. Die neue Generation an Ärzten möchte Beruf, Familie und Freizeit in einem ausgewogenen Verhältnis und das am besten bei einer Festanstellung. Auch der Anteil an Frauen die dem Arztberuf nachgehen hat sich immens erhöht, unter den Studenten machen sie bereits 60% der angehenden Ärzte aus. Ihren Lebensschwerpunkt legen sie in vielen Fällen eher auf die Familie als auf den Beruf. Es kommt also nicht allein auf die absolute Anzahl von Ärzten an, vielmehr ist die durchschnittliche Arbeitszeit ein Faktor der sich in dem drohenden Ärztemangel niederschlägt.

Patienten fordern mehr Leistungen ein

Hinzu kommt, dass die Patienten heute zunehmend ärztliche Leistungen fordern und auch in Anspruch nehmen. Diesem Problem wurde vor einigen Jahren mit der Praxisgebühr versucht entgegenzuwirken, letztlich hat sich dies jedoch nicht durchsetzen können. Jeder Versicherte geht heute im Schnitt 18 mal pro Jahr zum Arzt, die Gesellschaft altert und ältere Menschen sind nun mal häufiger krank. Ebenfalls ein Problem ist das Übergewicht, welches viele Menschen mit sich „herumschleppen“. Auch der gestiegene durchschnittliche Körperfettanteil in der Bevölkerung sorgt unterm Strich für mehr Arztbesuche.

Letzten Endes handelt es sich um ein Verteilungsproblem

Man sieht also, dass die Situation äußerst komplex ist. Unterschiedliche Faktoren sorgen dafür, dass die zukünftige Versorgungssicherheit in Deutschland ernsthaft infrage gestellt werden muss, sofern zeitnah keine Lösungen für die vielschichtigen Aspekte gefunden werden. Während es in Ballungsräumen teilweise zu viele Ärzte gibt, gehen den ländlichen Regionen die Mediziner im wahrsten Sinne des Wortes aus. Insbesondere in Regionen mit einer Kombination ungünstiger Faktoren: Niedriger Versorgungsgrad, hoher Altersdurchschnitt der Bevölkerung und der ansässigen Ärzte. Letzten Endes handelt es sich bei dem Problem also nicht um einen konkreten Mangel als viel mehr um ein Verteilungsproblem.

Anreize richtig setzen

Es ist nicht zuletzt auch eine Frage der politischen Steuerung, wie sich die Versorgung in den nächsten Jahren gestalten wird. Schon jetzt fordern einige Bundesländer Landarztquoten, auch in anderen Bereichen könnten Quoten ein deutliches Signal setzen. Jungen Ärzten muss vor allem eine Niederlassung außerhalb der Ballungsräume schmackhaft gemacht werden. Noch ist genügend Spielraum um dem Mangel vorzubeugen, Kommunalpolitik und Stadtverwaltung können hier jedoch nur an sogenannten „weichen Faktoren“ etwas ändern, die entscheidenden Anreize müssen aus der Landes- oder Bundespolitik kommen.