Hörverlust und Psyche: Welche psychischen Störungen können bei einer Schwerhörigkeit auftreten?

AUS: MEDIZIN-LEXIKON.DE

Schwerhörigkeit und Psyche können zusammenhängen.

Eine Hörminderung im fortgeschrittenen Alter ist keine Seltenheit. Die Haarsinneszellen im Ohr brechen im Laufe des Lebens ab und das Hörzentrum verschleißt. Ab 65 Jahren ist in Deutschland laut Fachärzten jeder zweite von zumindest einer beginnenden Schwerhörigkeit betroffen. Doch auch jüngere Menschen kann eine gravierende Hörminderung ereilen. Diese resultiert nicht selten aus psychischen Belastungen wie Stress.

Wie können psychische Störungen einen Hörverlust auslösen?

Es kommt vor, dass sich emotionale Belastungen und Stress negativ auf körpereigene Prozesse und Körperfunktionen auswirken. Die Situation, dass ein hektischer Alltag auf den Magen schlägt, kennen wahrscheinlich die meisten Deutschen. Schließlich gehören Bauchschmerzen und Verdauungsstörungen zu den klassischen Stresssymptomen. Eine Studie aus dem Jahr 2020 lässt zudem darauf schließen, dass eine hohe Stressbelastung die Darmgesundheit beeinträchtigt.

Ebenso kann Stress starke Auswirkungen auf das Gehör haben. Durch einen hohen Leistungsdruck im Arbeitsalltag, Hektik und Dauerstress besteht das Risiko eines Hörsturzes. Hierbei handelt es sich um eine Funktionsstörung im Innenohr, die hauptsächlich aus einer Durchblutungsstörung resultiert. Sie betrifft in der Mehrzahl der Fälle nur ein Ohr.

Zum Teil kann ein Hörsturz von Ohrgeräuschen wie Pfeifen oder Piepen begleitet werden. Bei den Patienten unterscheidet sich individuell, ob sie anschließend eine leichte bis starke Hörminderung oder einen plötzlichen Hörverlust feststellen. In beiden Fällen sind ohne baldige Besserung der Symptome Angstgefühle und später depressive Verstimmungen möglich.

Tinnitus

Psychische Störungen und Tinnitus stehen in einer engen Beziehung zueinander. Tinnitus, das Wahrnehmen von Geräuschen oder Klingeln im Ohr, kann eine direkte Folge von psychischem Stress und Angstzuständen sein. Stress und Angst können das autonome Nervensystem aktivieren, was wiederum zu einer veränderten Wahrnehmung von Geräuschen führt. Dies kann sich in Form von Tinnitus manifestieren, der oft von Betroffenen als Pfeifen, Zischen, Summen oder Klicken beschrieben wird.

Chronischer Stress und anhaltende Angstzustände können zudem die Schwere und die Häufigkeit von Tinnitus-Episoden erhöhen. Dies liegt daran, dass Stress die Hörschwellen temporär verändern kann, was die Empfindlichkeit des Gehörs für interne Geräusche steigert. Einige Studien deuten darauf hin, dass anhaltender Stress und Angst auch zu einer Hyperaktivität in bestimmten Teilen des Gehirns führen können, die für die Verarbeitung von Klang verantwortlich sind, wodurch die Wahrnehmung von Tinnitus verstärkt wird.

Darüber hinaus kann Tinnitus selbst zu psychischen Belastungen führen. Viele Menschen, die an Tinnitus leiden, entwickeln aufgrund der ständigen Geräuschbelästigung Angstzustände oder Depressionen. Dies kann einen Teufelskreis auslösen, bei dem psychische Belastungen den Tinnitus verschlimmern, der wiederum die psychische Gesundheit beeinträchtigt. Daher ist es wichtig, sowohl den Tinnitus als auch eventuelle begleitende psychische Störungen zu behandeln, um einen umfassenden Therapieerfolg zu erzielen.

Wie entsteht ein Hörsturz durch Stress?

In einer akuten Stresssituation schüttet der Organismus das Stresshormon Cortisol aus. Dieses ist dafür verantwortlich, den Körper fit und den Geist wach zu halten. Damit trägt es dazu bei, einer stressigen Situation aufmerksam zu begegnen und sie mit ausreichend Energie zu meistern. Eine Ausschüttung des Hormons über einen längeren Zeitraum – beispielsweise bei chronischer Stressbelastung – geht jedoch mit negativen Effekten einher. Betroffene fühlen sich dauerhaft aufgewühlt und gleichzeitig abgeschlagen. Zudem verengen sich durch Cortisol die Blutgefäße im gesamten Körper, also auch jene im Ohr.

Das Innenohr wird aufgrund körperlicher Stressreaktionen weniger durchblutet, was die Funktion der sensiblen Sinneszellen stört. Sie können eintreffende Schallschwingungen nicht länger verarbeiten, sodass eine Beeinträchtigung der Hörfähigkeit folgt. Bei einem solchen Hörsturz kommt es häufig zu einem dumpfen Gefühl im Ohr. Geräusche hören sich gedämpft und undeutlich an, als würde ein Fremdkörper im Gehörgang stecken. Alternativ kann es durch die Durchblutungsstörung zu einem kompletten Hörverlust kommen, bei dem Betroffene von einer Minute auf die andere keinen Laut mehr wahrnehmen.

Die Wahrscheinlichkeit eines stressbedingten Hörsturzes kann sich durch weitere Risikofaktoren erhöhen. Dazu gehören:

  • Autoimmunerkrankungen
  • Bluthochdruck
  • Übergewicht
  • Erkrankungen im Innenohr
  • Diabetes

Auch der übermäßige Genuss von Alkohol und Nikotin beeinträchtigt die Durchblutung und kann in Verbindung mit Dauerstress zu einem Hörsturz mit anschließender Schwerhörigkeit führen.

Wie entsteht ein Hörsturz durch Angstzustände oder Depression?

Seelische Belastungen können zu physischen Beschwerden führen. Neben Haarausfall treten durch anhaltenden Stress und die psychische Dauerbelastung beispielsweise psychogene Hörstörungen auf. Unterbewusst werden dabei psychische Störungen auf ein körperliches Symptom verschoben.

Werden die Empfindungen psychisch nicht richtig verarbeitet, sucht der Körper nach einer Art Notfalllösung. Bei einem Hörsturz wird dabei das Ohr als wahrnehmendes Organ kurzzeitig oder über einen längeren Zeitraum „abgestellt“. Die Folge sind Hörminderungen oder ein Hörverlust.

Anhaltende Angststörungen und Depressionen setzen Körper und Geist unter Druck. Sie treten als emotionale Stressbelastungen auf, die sich ebenfalls psychosomatisch auf die Hörfähigkeit auswirken können. In vielen Fällen lässt sich allerdings nicht klären, ob die Störung des Gehörs im Rahmen psychischer Erkrankungen als Begleitsymptom oder Folge entsteht.

Kann Schwerhörigkeit psychische Störungen auslösen und lässt sich diesem Risiko vorbeugen?

Hörminderung oder Hörverlust tauchen nicht nur im Rahmen einer psychischen Belastung auf. Sie können selbst Auslöser für depressive Verstimmungen oder Depressionen sein. Eine gestörte Hörfähigkeit verursacht eine Kommunikationsbarriere im Alltag. Betroffene verstehen ihre Mitmenschen schlecht oder gar nicht.

Aufgrund von sinkendem Selbstbewusstsein, Scham oder Ohnmacht ziehen sie sich aus dem sozialen Leben zurück. Die daraus resultierende Vereinsamung wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden und die Psyche aus. Zudem entsteht ein Teufelskreis. Je mehr die Ohren von Hörreizen entwöhnt werden, desto mehr leidet darunter die noch bestehende Hörfähigkeit.

Neben einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Niedergeschlagenheit bis Depression kann  die Schwerhörigkeit laut einer 2023 veröffentlichten Studie auch das Demenzrisiko erhöhen. Sofern keine Versorgung mit einem Hörgerät stattfindet, ist die Gefahr dieser krankhaften Veränderung im Gehirn bei schwerhörigen Menschen um 42 Prozent höher als bei Personen mit gesundem Gehör.

Um diesem Risikofaktor einer Demenz vorzubeugen, ist es für Betroffene und Angehörige wichtig, sich über die unterschiedlichen Hörgeräte Arten zu informieren, die Menschen mit Hörproblemen zur Verfügung stehen. Die Geräte spielen bei der Verbesserung der Hörqualität eine entscheidende Rolle, sodass sie dazu beitragen können, soziale Isolation zu reduzieren. Dementsprechend kann die Hörgeräteversorgung Risikofaktoren einer depressiven Verstimmung oder Depression entgegenwirken.

Die dafür geeigneten Hörgeräte gliedern sich in unterschiedliche Arten, darunter:

  • In-dem-Ohr- oder IdO-Hörgeräte
  • Hinter-dem-Ohr- oder HdO-Hörgeräte
  • Im-Ohr- oder ImO-Hörgeräte

Eine weitere Variante sind Hörsysteme mit drahtloser Konnektivität. Jede Art besitzt Vor- und Nachteile, sodass sich die Auswahl an die individuellen Bedürfnisse und Vorlieben des Trägers anpassen lässt.

Eine frühzeitige Konsultation eines Hörgeräteakustikers oder HNO-Arztes trägt dazu bei, eine individuell abgestimmte Hörgerätelösung zu finden. Diese unterstützt das Hörvermögen und minimiert dadurch das Risiko von Folgeerkrankungen.