Was ist Adipsie?
Adipsie ist eine seltene neurologisch bedingte Störung, bei der das natürliche Durstempfinden ausbleibt oder stark vermindert ist. Der Begriff leitet sich aus dem Griechischen ab („a-” = ohne, „dipsa” = Durst). Betroffene verspüren keinen oder nur einen sehr geringen Drang zu trinken – selbst bei starkem Flüssigkeitsmangel. Diese Störung kann lebensbedrohlich sein, wenn sie unbehandelt bleibt, da sie zu Dehydrierung und Elektrolytstörungen führt.
Adipsie unterscheidet sich von der Hypodipsie, bei der das Durstgefühl nur vermindert, aber nicht vollständig aufgehoben ist. Die Störung tritt in der Regel in Verbindung mit neurologischen oder hypothalamischen Erkrankungen auf.
Ursachen von Adipsie
Das Durstgefühl entsteht primär im Hypothalamus, einem Teil des Zwischenhirns, der unter anderem für die Regulation von Flüssigkeitshaushalt und Körpertemperatur verantwortlich ist. Schädigungen oder Fehlfunktionen dieses Bereichs führen häufig zur Adipsie.
Mögliche Ursachen für Adipsie sind:
- Angeborene hypothalamische Fehlbildungen
- Tumoren im Bereich des Hypothalamus
- Traumatische Hirnverletzungen
- Entzündliche Erkrankungen des Gehirns (z. B. Enzephalitis)
- Chirurgische Eingriffe oder Bestrahlung im Bereich des Gehirns
- Neurodegenerative Erkrankungen
In seltenen Fällen kann Adipsie auch idiopathisch auftreten, also ohne erkennbare Ursache.
Symptome der seltenen Störung
Die Symptome einer Adipsie entstehen vor allem durch die resultierende Dehydratation und den gestörten Wasserhaushalt. Betroffene Personen trinken meist deutlich weniger als nötig, weil das regulierende Signal des Körpers – der Durst – fehlt.
Typische Symptome umfassen:
- Trockener Mund und Schleimhäute
- Konzentrierter Urin mit geringem Volumen
- Verwirrtheit, Müdigkeit, Kopfschmerzen
- Kreislaufprobleme, Schwindel
- In schweren Fällen: Hypernatriämie (erhöhte Natriumkonzentration im Blut), Krampfanfälle und Koma
Formen der Adipsie
Medizinisch wird diese Störung in vier Typen unterteilt:
- Typ A (Essentielle Adipsie) – gestörte Durstwahrnehmung trotz intakter ADH-Sekretion (antidiuretisches Hormon)
- Typ B – sowohl Durstzentrum als auch ADH-Freisetzung sind beeinträchtigt
- Typ C (Primäre Adipsie) – vollständige Zerstörung des Durstzentrums
- Typ D – psychogene Ursachen ohne organische Befunde
Diese Einteilung hat nicht nur diagnostische, sondern auch therapeutische Relevanz.
Diagnostik bei Adipsie
Die Diagnose erfordert eine differenzierte Herangehensweise. Im Vordergrund stehen Anamnese, klinische Untersuchung und bildgebende Verfahren. Typische Schritte sind:
- Blutuntersuchung: Elektrolytstatus, insbesondere Natriumwerte
- Urinanalyse: Osmolalität und Konzentration
- Bildgebung: MRT des Gehirns zur Darstellung hypothalamischer Läsionen
- Dursttest (kontrolliert unter ärztlicher Aufsicht)
Eine sorgfältige Abgrenzung von Diabetes insipidus ist notwendig, da die Symptome teilweise überlappen können.
Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
Da Adipsie meist Ausdruck einer zugrunde liegenden Erkrankung ist, richtet sich die Behandlung primär nach der Ursache. Ziel der Therapie ist es, den Flüssigkeitshaushalt stabil zu halten und Komplikationen zu vermeiden.
Wichtige Maßnahmen sind:
- Regelmäßige Flüssigkeitszufuhr nach Plan, unabhängig vom Durstempfinden
- Elektrolytmonitoring, insbesondere Natrium und Kalium
- Therapie der Grunderkrankung (z. B. Entfernung eines Tumors, antientzündliche Therapie bei Enzephalitis)
- In schweren Fällen: Flüssigkeitszufuhr per Magensonde oder intravenös
Patienten benötigen oft eine intensive Betreuung und regelmäßige Kontrolluntersuchungen, da sie selbst nicht zuverlässig auf Anzeichen von Dehydrierung reagieren können.
Prognose bei Adipsie
Die Prognose hängt stark von der Ursache und dem Ausmaß der Schädigung des Durstzentrums ab. Wird Adipsie früh erkannt und die Flüssigkeitszufuhr konsequent reguliert, lassen sich schwere Komplikationen vermeiden. In Fällen mit irreversibler hypothalamischer Schädigung ist jedoch meist eine lebenslange Therapie notwendig.
Prävention und Alltag mit Adipsie
Eine direkte Prävention ist nicht möglich, da viele Ursachen der Adipsie nicht vorhersehbar oder vermeidbar sind. Für Betroffene ist eine strukturierte Alltagsorganisation essenziell, um eine ausreichende Flüssigkeitsaufnahme sicherzustellen. Hilfreich sind:
- Erinnerungsfunktionen am Smartphone
- Trinkerinnerungs-Apps
- Flüssigkeitspläne
- Unterstützung durch Angehörige oder Pflegepersonal
Quellen
- Benninghoff A, Drenckhahn D. Anatomie. Makroskopische Anatomie, Histologie, Embryologie, Zellbiologie. 16. Auflage. München: Elsevier, Urban & Fischer; 2020.
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- Kandel ER, Schwartz JH, Jessell TM, et al. Principles of Neural Science. 5th ed. New York: McGraw-Hill; 2013.
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