Adiuretin, auch als antidiuretisches Hormon (ADH) oder Vasopressin bekannt, ist ein zentrales Hormon im endokrinen System. Es spielt eine essenzielle Rolle bei der Regulation des Wasserhaushalts und des Blutdrucks. Darüber hinaus hat Adiuretin Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem sowie auf das Herz-Kreislauf-System. Veränderungen in der Ausschüttung oder Wirkung von Adiuretin können schwerwiegende Erkrankungen hervorrufen.

Was ist Adiuretin?

Adiuretin ist ein Peptidhormon, das aus neun Aminosäuren besteht. Es gehört zur Familie der Neurohypophysenhormone. Gebildet wird es im Hypothalamus – genauer in den Kernen nucleus supraopticus und nucleus paraventricularis – und anschließend in der Neurohypophyse (Hinterlappen der Hypophyse) gespeichert. Von dort aus gelangt Adiuretin bei Bedarf in den Blutkreislauf.

Der Name „antidiuretisches Hormon“ beschreibt bereits seine Hauptwirkung: die Hemmung der Diurese, also der Wasserausscheidung über die Niere.

Wirkmechanismus von Adiuretin

Adiuretin wirkt vor allem an den Sammelrohren der Niere, wo es die Wasserrückresorption in das Blut fördert. Es bindet an V2-Rezeptoren der Tubuluszellen, was zur Einlagerung von Aquaporin-2-Kanälen in die Zellmembran führt. So kann Wasser aus dem Primärharn wieder ins Blut zurückgeführt werden – der Urin wird konzentrierter, das Blutvolumen steigt.

Neben der Niere wirkt Adiuretin auch an V1-Rezeptoren in den Gefäßwänden. Die Stimulation dieser Rezeptoren verursacht eine Vasokonstriktion (Verengung der Blutgefäße) und trägt zur Blutdrucksteigerung bei.

Steuerung der Adiuretin-Ausschüttung

Die Freisetzung wird durch zwei Hauptmechanismen reguliert:

  1. Osmoregulation: Osmorezeptoren im Hypothalamus reagieren auf Veränderungen der Plasmaosmolarität. Bereits ein Anstieg von nur 1–2 % kann die ADH-Freisetzung erhöhen.
  2. Volumen- und Druckreize: Barorezeptoren in den großen Arterien registrieren Blutdruck- und Volumenveränderungen. Bei Hypovolämie oder Hypotonie wird Adiuretin vermehrt ausgeschüttet.

Weitere Einflussfaktoren sind:

  • Schmerz, Stress, körperliche Anstrengung
  • Übelkeit oder Hypoglykämie (steigern Ausschüttung)
  • Alkohol und Koffein (hemmen Ausschüttung)

Medizinische Relevanz von Adiuretin

Die Bedeutung von Adiuretin wird besonders deutlich bei hormonellen Störungen. Zwei Krankheitsbilder stehen im Vordergrund:

Diabetes insipidus

Ein Mangel an Adiuretin (zentraler Typ) oder eine verminderte Sensitivität der Nieren auf das Hormon (nephrogener Typ) führt zu übermäßiger Wasserausscheidung:

  • Polyurie (Urinmengen bis 20 Liter/Tag)
  • Polydipsie (extremer Durst)
  • Gefahr der Exsikkose

Behandelt wird der zentrale Typ meist mit Desmopressin, einem synthetischen Analogon des Adiuretins, das selektiv an V2-Rezeptoren wirkt. Der nephrogene Typ erfordert eine kausale Therapie, oft unter Einsatz von Thiaziddiuretika und einer salzarmen Diät.

SIADH (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion)

Bei SIADH wird Adiuretin unabhängig von der Osmolarität ausgeschüttet. Es kommt zu einer übermäßigen Wasserrückresorption und damit zu:

  • Verdünnungshyponatriämie
  • Übelkeit, Verwirrtheit, Krampfanfälle
  • In schweren Fällen: Hirnödem

Ursachen für SIADH sind unter anderem Schädel-Hirn-Traumen, Tumore (z. B. Bronchialkarzinome), Medikamente wie Antidepressiva oder Antiepileptika sowie Infektionen des zentralen Nervensystems. Die Therapie umfasst Flüssigkeitsrestriktion und, bei schwerer Ausprägung, Vasopressin-Antagonisten (Vaptane) oder hypertonische Kochsalzlösungen.

Weitere Funktionen von Adiuretin

Aktuelle Forschungen zeigen, dass Adiuretin nicht nur den Wasserhaushalt reguliert, sondern auch im zentralen Nervensystem aktiv ist. Es beeinflusst:

  • Sozialverhalten (Bindung, Vertrauen)
  • Angst- und Stressverarbeitung
  • Gedächtnisleistungen

Diese Erkenntnisse eröffnen neue Perspektiven für die Therapie psychischer Erkrankungen, insbesondere im Bereich der Angststörungen und affektiven Störungen. Auch ein möglicher Zusammenhang zwischen Adiuretinspiegeln und neurodegenerativen Erkrankungen wird derzeit erforscht.

Diagnostische Verfahren bei Adiuretin-Störungen

Zur Abklärung von Störungen des Adiuretinsystems werden verschiedene diagnostische Schritte eingesetzt:

  • Bestimmung von Natrium, Osmolarität und ADH im Plasma
  • Messung der Urinosmolarität
  • Wasserentzugstest zur Differenzierung der Ursachen
  • Bestimmung von Copeptin (stabiler Marker für ADH-Aktivität)

Wichtige Laborparameter:

  • Plasmaosmolarität >295 mosmol/kg: Hinweis auf Wassermangel
  • Urinosmolarität <300 mosmol/kg bei hohem Urinvolumen: Hinweis auf ADH-Mangel

Quellen

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